Interdisziplinarität in Wissenschaft und Studium
Manchmal passiert es, dass man den Wald for lauter Bäumen nicht mehr sieht. Zum Beispiel gestern, als ich mich in das Thema „Interdisziplinarität in der (Sozial-)wissenschaft“ eingelesen habe. In einem der Konferenzbände hier auf meinem Schreibtisch bin ich dann zufällig auf einen Beitrag meiner Augsburger Kollegen gestoßen, in den Proceedings einer wohlgemerkt interdisziplinären Konferenz zu Technology Enhanced Learning (TEL). Ab da war irgendwie klar, dass das Thema eigentlich gar nicht so neu für mich ist. In der Beschreibung meines Studiengangs heißt es immerhin: „der Bachelor- bzw. Master-Studiengang „Medien und Kommunikation“ (MuK) ist interdisziplinär angelegt“. MuK in Augsburg rühmt sich also ein interdisziplinärer Studiengang zwischen Kommunikationswissenschaft (KW), Pädagogik und Digitalen Medien zu sein. Ist dem tatsächlich so?
Multi- vs. Interdisziplinarität
Der ähnliche, wenn auch schwächere Begriff „Multidisziplinarität“ heisst nach Ansicht einiger Autoren, dass verschiedene Disziplinen unter Bewahrung der eigenen, disziplinären Grenzen zusammenarbeiten. Das ist in Augsburg ohne Zweifel der Fall: Unter dem Dach des gemeinsamen Instituts wird zusammen jedes Semester auf’s neue der Studiengang Medien und Kommunikation auf die Beine gestellt.
Der Kern der Kernfächer
Aber wie steht es ansonsten um die gemeinsame Wissensproduktion? Letztendlich gibt es im theoretischen Kanon der drei Kernfächer Überschneidungspunkte, vor allem im Bereich der rezipientenorientierten Medienpsychologie. Diese zu finden und zu erkennen wird den Studenten überlassen, fachübergreifende Publikationen gibt es in der Regel nicht. Aber wie sollte es auch, bei ständig wechselnden Professuren, die die disziplinäre Ausrichtung vor allem in der Medienpädagogik zum Teil sehr unterschiedlich interpretieren.
Interdisziplinarität benötigt ausreichend Verschiedenheit, sich ergänzende Qualitäten. Die qualitativen Methoden der Erziehungswissenschaft und die quantitativen Methoden der Kommunikationswissenschaft lassen sich zwar addieren, eine echte Integration ist unwahrscheinlich, da die Settings und Blickwinkel zu stark zwischen gesamtgesellschaftlich bzw. systembezogen und individuell divergieren. Innerhalb der Sozialwissenschaften erscheint Interdisiplinarität als Randerscheinung. Eventuell ändert sich das mit mit der neuen, zweiten KW Professur, wobei auch diese bemüht sein wird, ihre eigene Identität aufzubauen bzw. zu bewahren.
Nebenfächer – viel Potential, hohes Risiko
Mehr Potential für Interdisziplinarität gibt es zwischen verschiedenen Wissenschaftszweigen, z.B. in Kooperation mit den Geisteswissenschaften (siehe z.B. beim Projekt Brauchwiki oder diversen Filmseminaren) oder den Computerwissenschaften (verschiedene IMB Projekte wie die e3 Plattform oder Seminare, die auch von „Informatik und Multimedia“-Studenten belegt werden). Leider sind solche wirklich interdisziplinären Nebenfachseminare die Ausnahme, die meisten bleiben ohne viel Kontakt zwischen Disziplinen, meiner Erfahrung nach vor allem im politikwissenschaftlichen und juristischen Bereich.
Die Europäische Kommission (EC, 2007, FP7) betont, das Interdisziplinarität zwar gewollt ist, jedoch auch ein hohes Risiko mit sich bringt. Wer Studenten oder Wissenschaftler in fremde Fachkulturen schickt, verliert die Kontrolle über sie. Vor allem die Kontrolle über die Lehrinhalte, die in den Nebenfächern vermittelt werden, und ihre thematische Passung, sowie auch die Kontrolle über die Seminarsituation und damit darüber, ob sich die Fachkulturen sinnvoll ergänzen. Die Verantwortlichkeiten für solche Unternehmungen müssen immer wieder neu verhandelt werden.In den Hauptfachbereich dagegen lassen sich diese Seminare schwer integrieren, weil Basismodule gewährleistet werden müssen. Letztendlich liegt es an den Lehrbeauftragten, die Nebenfachseminare anbieten, sich darum zu bemühen, dass intedisziplinäre Settings arrangiert werden. Von alleine entstehen sie in den Sozialwissenschaften leider kaum, und das MuK-Studium ist mit Sicherheit nicht per se interdisziplinär, auch wenn es gute Vorraussetzungen bietet.